Mittwoch, 16. Januar 2008

FR-"Leserversteher" Bronski hat das Gefühl für Debatten













Leserbrief-Seite "Bronski" der Frankfurter Rundschau (FR)

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Die in Frankfurt am Main erscheinende „Frankfurter Rundschau“ (FR) gehört zu den wichtigsten überregionalen Tageszeitungen in Deutschland. Wie kaum ein anderes Blatt zwischen Nordsee und Alpenrand nimmt die „FR“ ihre Leser und Leserinnen besonders ernst. Das Konzept ihrer Leserbrief-Seite, das mit dem Namen „Bronski“ verbunden ist, wurde bereits mit dem renommierten „Europaean Newspaper Award“ ausgezeichnet. Aus diesem Grund interviewte das Weblog „medien-news“ den für Leserbriefe bei der „FR“ zuständigen Redakteur Bronski.

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Frage: Herr Bronski, bei der Lektüre der „Frankfurter Rundschau“ – sowohl der gediegenen Printausgabe als auch der flotten Internetseite http://www.fr-online.de mit Kontaktadressen, Forum und Archivrecherche und vielem anderen mehr – merkt man ziemlich schnell, dass die „FR“ ihre Leser und Leserinnen sehr ernst nimmt. Hat die Leserschaft bei einem so reichen Service-Angebot eigentlich noch Wünsche inhaltlicher Natur?

Antwort: Selbstverständlich. So groß wie die Zahl unserer Leserinnen und Leser ist auch die Vielfalt von individuellen Vorlieben und Wünschen. Darin unterscheidet sich die FR ganz sicher nicht von anderen Tageszeitungen. Hier wird mal ein Thema weggelassen oder zu klein gefahren, das mancher dann unterrepräsentiert sieht. Andere Themen werden zu groß gemacht, wenn es nach manchen Lesern geht. Tageszeitung ist eben immer ein Kompromiss zwischen den verschiedensten Interessen. Da muss man manchmal eine Art Augur sein, um das Leserinteresse zu antizipieren.

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Frage: Redakteur für Leserbriefe einer renommierten Tageszeitung wird man meistens nicht in jungen Jahren zu Beginn einer journalistischen Karriere, weil man hierfür ein gewisses Maß an Erfahrung, Wissen und Courage braucht. Wie alt waren Sie, als Sie erstmals die Leserbriefe der „FR“ betreuten und wann war das?

Antwort: Ich bin Mitte vierzig und damit wohl ein Gegenbeispiel für das Berufsbild, wie Sie es zeichnen. Ich habe die Leserbrief-Seite am 30. Mai 2007 von meinem Vorgänger Edgar Auth übernommen; seitdem heißt sie ja auch „Bronski“. Vorher habe ich ausgiebige Erfahrungen mit Leserkommunikation im Auftrag der FR-Chefredaktion gesammelt.
Wissen und Courage besitze ich durchaus, journalistische Erfahrung wohl etwas weniger. Für die Bronski-Seite halte ich eine andere Fähigkeit für wichtiger: das Gefühl für Debatten. Das Hauptanliegen der Seite ist es ja, Debatten anzustoßen, die im FR-Blog weitergeführt werden können. Klassische Leserbriefseiten sind für mich eine Art Sackgasse, weil die Debatte mit dem Abdruck eines Leserbriefs in der Regel bereits beendet ist.

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Frage: Bei der „FR“ nimmt man die Funktion des Leserbrief-Redakteurs besonders wichtig. Denn dieser liest, bearbeitet und veröffentlicht die Leserbriefe nicht nur, wie es in vielen anderen Zeitungen geschieht, sondern fungiert auch als engagierter und beliebter Anwalt der Leserschaft, der deren Anliegen der Chefredaktion vorträgt. Bitte beschreiben Sie Ihre Rolle als „Ombudsmann“!

Antwort: Der Ombudsmann der FR ist noch nicht richtig ausdifferenziert. Ursprünglich hat die Redaktion mich leicht ironisch „Leserversteher“ getauft. Jetzt bin ich der Mittelsmann zwischen Lesern und Redaktion, d.h. ich trage Anregungen und Kritik weiter. Künftigen Entwicklungen möchte ich hier nicht vorgreifen, aber ich arbeite gerade an einem Konzept, diese Rolle zu einem echten Ombudsmann weiterzuentwickeln. Vor allem möchte ich gegenüber der Redaktion im Leserinteresse einflussreicher werden. Bisher betrachte ich es – neben der Arbeit an der Bronski-Seite und dem direkten Kontakt mit den Leserinnen und Lesern – als meine Hauptaufgabe, im Sinne der Leser aktiv zu werden, wenn es um Verbesserungswünsche geht. Da habe ich auch schon einiges erreicht. Für die Zukunft möchte ich vor allem offensiver mit Kritik umgehen.

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"Bronski – das FR-Blog"

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Frage: Leser/innen der „FR“ kommen auf vielen Wegen zu Wort: Sie können Leserbriefe an „Bronski“ schicken, sich im Weblog „Bronski – das FR-Blog“ unter http://www.frblog.de oder im „Frankfurter Rundschau Online-Forum“ unter http://forum.fr-online.de/forum äußern. Was wird am meisten genutzt?

Antwort: Die meisten Reaktionen kommen über Leserbriefkontakte an mich, dann über das Kontaktformular des Blogs und Direkt-Mails an Bronski, über die E-Mail-Adresse, die ja auch täglich veröffentlicht wird. Die Akzeptanz für Bronski wächst stetig. Anfangs konnte ich noch ein gewisses Fremdeln feststellen, aber das ist Neuem gegenüber ja eigentlich selbstverständlich. Jetzt gewöhnen sich die Leute und trauen sich immer mehr, mich direkt anzusprechen.

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Frage: In vielen Zeitungsredaktionen werden Leserbriefe zum Lokalteil von einem anderen Redakteur betreut als diejenigen zum überregionalen Teil. Wie wird es bei der „FR“ praktiziert?

Antwort: So ist es auch bei der FR. Die Betreuung der Wortmeldungen zum Lokalteil liegt in der Hand zweier leitender Redakteure der Lokalredaktion.

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Frage: Bei der Lektüre einer Zeitung stößt man oft auf Themen, die einen wundern oder sogar ärgern. Gibt es ein Generalthema, das die Leser/innen der „FR“ immer wieder erregt?

Antwort: Ja, das sind die „leichten“ Themen. Die „Leute“-Geschichten. Der traditionelle FR-Leser hat wenig Affinität zu Paris Hilton, Britney Spears oder irgendwelchen Eisbärenbabys und übt daran teils massive Kritik, die ich gelegentlich auf der Bronski-Seite abbilde. Er findet auch, dass wir zu freundlich mit Angela Merkel und Roland Koch umgehen, gerade jetzt im Wahlkampf.

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Mit Preis ausgezeichnet: Zeitungsseite der "FR"

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Frage: Die meisten Leserbriefschreiber/innen äußern sich vermutlich kritisch zu einem bestimmten Thema, das in der Zeitung behandelt wurde. Kommt es auch vor, dass der Inhalt oder die Optik der „FR“ mit ihrem handlichen Format und edlem Layout besonders gelobt wird oder schreiben die Leserinnen/innen nur, wenn sie sich über etwas ärgern?

Antwort: Die Leute äußern sich überwiegend, wenn Sie Anlass zur Kritik haben. Das ist überall so, nicht nur bei uns. Aber es kommt durchaus auch vor, dass wir Lob bekommen. Das neue Format hat Kritik und Lob erfahren. Grundsätzlich kann man sagen, dass die FR-Leserinnen und –Leser Inhalte über Form stellen. Dem „edlen Layout“, wie Sie das nennen, stehen viele kritisch gegenüber, weil sie es nur als Verpackung der Inhalte ansehen. Dass eine ansprechende Gestaltung nötig ist, um auf Inhalte neugierig zu machen, ist ein Punkt, den ich manchmal nur mühsam kommunizieren kann. Manche Leser wünschen sich da geradezu in die Zeiten der Bleiwüste zurück.

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Frage: Leserbriefe kommen heute auf vielen Wegen in eine Zeitungsredaktion: Per Brief, Postkarte, Fax, E-Mail, direkt am Fuß eines Artikels auf der Internetseite der „FR“ und hoffentlich nicht zeitraubend per Telefon oder sogar persönlich. Welche Art der Übermittlung überwiegt und ist Ihnen am liebsten?

Antwort: Ich bevorzuge den Kontakt per E-Mail, weil das am unkompliziertesten und konzentriertesten ist. Telefonische Kontakte mag ich gar nicht, weil ich meine Zeitgestaltung dann nicht mehr im Griff habe. Daher wird meine Telefonnummer auch nicht nach außen kommuniziert.

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Internetseite der "FR"

Frage: Zeitungen sind heute nicht nur auf Papier gedruckt, sondern auch virtuell im Internet präsent. Erhalten Sie auch Leserbriefe mit Lob, Wünschen oder Kritik zur Internetseite der „FR“?

Antwort: Ja, durchaus. Wobei der überwiegende Teil sich mit Fehlern befasst, die vom Print direkt übernommen wurden. Leider veröffentlicht die Online-Redaktion bisher noch keine Leserbriefe zu Online-Inhalten.

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Frage: Unter den Verfassern/innen von Leserbriefen gibt es sehr unterschiedliche Typen, weil sie ein Spiegelbild der Gesellschaft sind. Welcher Typ bereitet Ihnen am meisten Freude oder Kummer?

Antwort: Über diese Fangfrage muss ich doch lachen. Machen Sie was draus, wenn ich Ihnen sage, dass unter den Leserbriefautoren viele Lehrer sind.

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Frage: In Tageszeitungen reicht oft der zur Verfügung stehende Platz nicht aus, um alle Leserbriefe abzudrucken. Können Sie in der „FR“ jeden vernünftigen Brief veröffentlichen oder müssen Sie eine strenge Auswahl treffen?

Antwort: Der Platz reicht vorn und hinten nicht. Ich bekomme täglich bis zu hundert Zuschriften, veröffentlicht werden aber nur bis zu acht. Ich muss also auswählen. Dabei betrachte ich die Eingänge als eine Art Abstimmung: Die Themen, die die meisten Zuschriften bekommen, landen auf der Leserbriefseite. Aus dem Fundus der Eingänge wähle ich dann möglichst kontroverse und zugleich repräsentative Zuschriften aus, die andere Zuschriften mit auffangen. Pointierte Zuschriften, die sich kurz halten, haben es bei mir etwas leichter.

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Frage: Nicht jeder Leserbrief ist zur Veröffentlichung in der Zeitung geeignet. Welche Art von Einsendungen hat bei der „FR“ überhaupt keine Abdruckchance?

Antwort: Hetzerische Zuschriften insbesondere aus dem rechten Meinungsspektrum. Beleidigende Zuschriften nehme ich ebenfalls nicht. Es gibt aber eine Grauzone, in der sich Zuschriften bewegen, die mit Unterstellungen arbeiten. Es ist nicht immer möglich, diese Unterstellungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Solche Zuschriften bleiben daher tendenziell außen vor.

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Frage: Jemand, der sich die Mühe macht, einen Leserbrief zu schreiben, ist sicherlich enttäuscht, wenn dieser nicht in der Zeitung erscheint. Reagieren alle Verfasser von abgelehnten Leserbriefen vernünftig oder gibt es deswegen auch mal eine schriftliche oder telefonische Beschimpfung oder sogar eine Abbestellung der „FR“?

Antwort: Ich habe alles schon erlebt. Es gibt Autoren, die zu glauben scheinen, dass niemand außer ihnen Leserbriefe schreibt, und es gibt Autoren, die täglich schreiben, weil sie glauben, dass das ihre Chance auf Veröffentlichung erhöht. Ausschlaggebend sind für mich aber immer die Inhalte und nicht der Proporz. Ich hatte deswegen auch schon heiße Telefonate.

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Frage: Manche Zeitungen drucken nur Leserbriefe zu ihren veröffentlichten Texten oder Fotos ab, jedoch nicht zu anderen mehr oder minder brennenden Themen der Zeit. Wie wird dies bei der „FR“ gehandhabt?

Antwort: Da ich nur wenig Platz zur Verfügung habe, bevorzuge ich Briefe, die Debatten zu Themen der Zeitung führen. Dafür ist aber nicht immer ein eindeutiger Bezug auf einzelne Texte nötig. Ich habe auch schon Briefe veröffentlicht, in denen von persönlichen Erfahrungen etwa mit Zeitarbeit oder von Jugenderfahrungen als Flakhelfer am Ende des Zweiten Weltkriegs berichtet wurde. Aber einen Bezug zu einer aktuellen Debatte sollten diese Zuschriften immer haben.

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Frage: Manche Leser/innen schreiben zustimmende oder ablehnende Leserbriefe zu veröffentlichten Leserbriefen. Drucken Sie diese in der „FR“ ab oder leiten Sie diese an den Verfasser des publizierten Briefes weiter?

Antwort: Ich liebe es, Erwiderungen auf zuvor veröffentlichte Leserbriefe abzudrucken, insbesondere wenn diese einen konträren Standpunkt einnehmen. Weitergeleitet werden solche Zuschriften nur auf besonderen Wunsch des Verfassers.

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Frage: Sicherlich gibt es bei Leserbriefen große Qualitätsunterschiede. Was machen Sie bei Texten zu einem wichtigen Thema, die voller Rechtschreibfehler strotzen?

Antwort: Leserbriefe werden bei uns den Rechtschreibnormen unterworfen. Fehlerhäufungen sprechen nicht grundsätzlich gegen eine Veröffentlichung, solange der Sinn eindeutig ist, mir also keine Möglichkeit zu Fehlinterpretation gegeben ist.

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Frage: Anonyme Leserbriefe wandern in jeder Zeitungsredaktion sofort in den Papierkorb. Gehen auch bei der „FR“ manchmal Leserbriefe ein, deren Verfasser/innen ihren Namen verschweigen?

Antwort: Ja, oft. Solche Zuschriften werden nicht veröffentlicht. Wenn wir mal einen Brief anonymisieren sollen, muss uns der Autor trotzdem namentlich bekannt sein.

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Frage: Manche Zeitungen sind auf Leserbriefe hereingefallen, die unter falschem Namen abgeschickt wurden. Wie kann man dies vermeiden?

Antwort: Im Zweifelsfall nur, indem man einen Kontrollanruf tätigt. Das lässt sich jedoch in der Praxis nur selten machen, dazu muss ja auch ein Anfangsverdacht gegeben sein. Dieses Risiko besteht, darüber muss man sich klar sein. Und es lässt sich auch nicht ausschließen.

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Frage: Schreiber/innen von Leserbriefen können sehr anhänglich sein. Gibt es darunter welche, die Sie privat anrufen oder Sie unbedingt persönlich kennen lernen wollen?

Antwort: Ja, die gibt es, aber ich achte auf Distanz. Auch treue Leserbriefautoren haben meine Telefonnummer nicht, sondern müssen, wenn sie Kontakt suchen, über das Sekretariat gehen und werden dann von mir mit unterdrückter Nummer zurückgerufen.

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Frage: Jemand wie Sie weiß wie kaum ein anderer, wie man einen Leserbrief schreibt. Haben Sie selbst schon jemals einen Leserbrief an eine Zeitung oder Zeitschrift abgeschickt und wurde dieser veröffentlicht?

Antwort: Ja, das habe ich, aber das ist sehr lange her. Einen einzigen – und der wurde damals tatsächlich in der Badischen Zeitung veröffentlicht.

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Frage: Nach meinen eigenen Erfahrungen als Journalist wünschen sich viele Leser/innen einer Zeitung, dass sie nicht nur Briefe, sondern auch Gedichte, Kurzgeschichten, Witze, Fotos oder Zeichnungen in ihrem jeweiligen Lieblingsblatt veröffentlichen können. Ist eine von Lesern/innen gestaltete Zeitungsseite oder Internetseite eine Utopie?

Antwort: Eine Seite im Print halte ich für utopisch, online sähe das vielleicht anders aus. „User generated content“ lautet ja eines der Zauberworte unserer Zeit, und manche Zeitungen bieten online ja auch schon Platz für Leser-Reporter. Dabei steht der Journalismus natürlich im Vordergrund, die eigentliche Aufgabe von Tageszeitungen. Alle anderen Angebote sähe ich vor dem Hintergrund der Leser-Blatt-Bindung. Aber man kann über alles nachdenken.

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Video-Nachrichten der "FR"

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Frage: Im Internet erobern Videoclips mit informativen oder unterhaltsamen Themen die Welt. Können Sie sich vorstellen, dass irgendwann Leserbriefe in Form von Videos auf Internetseiten von Zeitungen präsentiert werden?

Antwort: Grundsätzlich halte ich das für vorstellbar. Manche Leserbriefautoren sind ja schon rein schriftlich wahre Meister der Selbstdarstellung. Ich würde es allerdings bevorzugen, wenn es dabei weiterhin um die Inhalte ginge und nicht um irgendwelche Mätzchen.

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Frage: Wenn Ihnen eine „gute Fee“ wie im Märchen drei Wünsche erfüllen könnte, was würden Sie ihr sagen?

Antwort: 1. Der terrestrische Standardtag sollte 40 Stunden lang sein und nicht nur 24; vielleicht käme ich dann mit der Arbeit hinterher. 2. Lügnern wachsen bekanntlich lange Nasen. Aus Gründen der Gerechtigkeit würde ich befürworten, dass Pöblern krumme Finger und spitze Ohren wachsen. 3. Aber vor allem wünsche ich mir ganz egoistisch Kraft und Muße für die Arbeit an dem Roman, an dem ich derzeit schreibe.

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Die Fragen für das Interview stellte der früher zeitweise für Leserbriefe einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet verantwortliche Wiesbadener Journalist Ernst Probst, der im Internet die Weblogs http://medien-news.blog.de, http://internet-zeitung.blogspot.com und http://interview-weblog.blogspot.com betreibt.

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